Warum die Wortwahl und die Art der Frage über das Ergebnis entscheiden kann.

Kindesanhörungen gehören heute zu den gängigen Verfahren in familiengerichtlichen Auseinandersetzungen. Sie sollen dem Kind Gehör verschaffen – seinem subjektiven Erleben, seinen Wünschen, seiner Sicht auf die familiäre Realität. Doch so sinnvoll dieser Ansatz ist, so sensibel muss er gestaltet werden. Denn: Nicht jedes gesprochene Wort ist Ausdruck eines freien Willens – vor allem dann nicht, wenn Kinder sich in einem Loyalitätskonflikt befinden oder elterlicher Einflussnahme ausgesetzt sind. In diesem Beitrag zeige ich, warum die Art der Gesprächsführung bei Kindesanhörungen entscheidend ist, welche Wirkung unterschiedliche Frageformen haben können – und worauf Eltern in solchen Situationen achten sollten.

Sprache formt Realität – besonders für Kinder

Kinder in Trennungssituationen erleben unabhängig von ihrem Alter eine emotionale Ausnahmesituation. Sie orientieren sich an der subjektiven Beziehungsebene, nicht an formaler Logik. Worte – und vor allem die Art, wie Fragen gestellt werden – wirken direkt auf das emotionale Erleben.

Gerade in Fällen mit Verdacht auf elterliche Manipulation oder gezielte Ablehnung eines Elternteils (z. B. infolge von Kontaktverweigerung oder einseitiger Beeinflussung) wird Sprache zum entscheidenden Werkzeug – oder zur Falle.

Offene, geschlossene und suggestive Fragen – ein Unterschied mit Folgen

Geschlossene Fragen lassen meist nur eine Ja-/Nein-Antwort zu oder bieten sehr eingeschränkte Optionen. Beispiel: „Bist du traurig gewesen?“ Das Kind antwortet mit hoher Wahrscheinlichkeit mit „Ja“, ohne die Situation weiter zu differenzieren. Vor allem jüngere Kinder reagieren oft so, wie sie glauben, dass es von ihnen erwartet wird.

Suggestive Fragen beinhalten eine Wertung oder lenken die Antwort in eine bestimmte Richtung, etwa: „Dann warst du bestimmt sehr wütend, oder?“ oder „Papa/Mama will doch, dass es dir gut geht, stimmt’s?“ – Solche Fragen verstärken bereits vorhandene Narrative und engen die Selbstwahnehmung -, und somit das Selbstwirksamkeitserkeben – des Kindes ein.

Offene Fragen hingegen lassen Raum für individuelles Erleben und Selbstreflexion. Sie laden ein, ohne zu drängen, und eröffnen differenzierte Antworten. Etwa: „Wie hast du dich dabei gefühlt?“ oder „Wie sieht dein Alltag aus?“ – Hier darf das Kind seine Welt beschreiben, ohne sich für eine Seite entscheiden zu müssen.

Die Rolle der Gesprächsführung

Einfühlsame Gesprächsführung bedeutet:

  • Ein Gespräch statt eines Verhörs.
  • Wertfreie Haltung statt vorschneller Deutung.
  • Fragen auf Augenhöhe statt Druck durch Erwartung.

Gerade im familiengerichtlichen Kontext wird jedoch oft standardisiert und häufig unbeholfen vorgegangen. Das führt dazu, dass Kinder in einem angespannten emotionalen Zustand auf suggestive Fragen reagieren – nicht mit authentischer Haltung, sondern mit erlernten oder als “richtig” empfundenen Aussagen.

Der Kontext und das Setting entscheiden mit

Ein meist unterschätzter Faktor: Die Umstände der Anhörung beeinflussen die Aussagen des Kindes erheblich.

Welcher Elternteil bringt das Kind zur Anhörung?

Kinder spüren, was von ihnen erwartet wird – allein durch Mimik, Sprache, Körperhaltung oder das Verhalten des begleitenden Elternteils.

Ist der Elternteil bei der Anhörung anwesend?

Auch wenn das Kind “offiziell” frei spricht, kann die bloße Nähe des betreuenden oder dominanten Elternteils seine Antwort beeinflussen.

Wo befindet sich der Elternteil während der Anhörung?

Eine geschlossene Tür (“Ich warte auf dich hier im Flur”) stellt keinen ausreichenden emotionalen Abstand zu der Elternperson.

Wie war die Vorbereitung?

Manche Kinder werden – bewusst oder unbewusst – auf bestimmte Aussagen vorbereitet („Du musst eben sagen, was Du willst, das haben wir doch besprochen; Du musst es sagen, wenn du lieber bei mir bist“). Andere Kinder haben Angst, wenn sie sich zu neutral oder positiv über den abgelehnten Elternteil äußern. Dies ist am einfachsten an der Körpersprache, der Mimik und Gestik des Kindes abzulesen.

Dies verdeutlicht: Kindesanhörungen im hochstrittigen Kontext liefern selten objektive Wahrheiten, sondern müssen immer im Gesamtkontext gelesen und gedeutet werden. Eine einzelne Aussage darf nie isoliert interpretiert werden.
Eine gute Gestaltung von Fragen hilft, die Problematik und Dynamik des hochstrittigen Familiensystems zu erfassen.

Was betroffene Eltern wissen sollten

Wenn Sie selbst betroffen sind – sei es als betreuender oder als abgelehnter Elternteil – dann seien Sie sich bewusst: Kinder wollen in erster Linie geliebt werden und niemanden verletzen. Viele Aussagen entstehen aus Angst, Schuldgefühl oder dem Wunsch, es “richtig” zu machen.

Deshalb:

  • Setzen Sie Ihr Kind nicht unter Druck Stellung zu beziehen.
  • Bereiten Sie es nicht inhaltlich vor – schenken Sie ihm vielmehr Vertrauen, dass es die Situation gut meistert.
  • Akzeptieren Sie auch, wenn es Unsicherheit zeigt oder widersprüchlich wirkt. Das ist normal und menschlich.

Und: Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn die Aussagen Ihres Kindes Sie zurückweisen. Häufig spiegeln sie nicht das tatsächliche Erleben wider, sondern die aktuelle Dynamik – beeinflusst durch Angst, fragliche Art der Bindung an den dominierenden Elternteil, Umfeld und die Gesprächsführung.

Gute Fragen schützen – schlechte Fragen verletzen und können zu falschen Schlussfolgerungen führen.

Kindesanhörungen können eine Chance sein – wenn sie mit der richtigen Haltung geführt werden. Eine Haltung, die auf Offenheit, Geduld und Respekt basiert. Dann können Kinder tatsächlich gehört werden – und ihre wahren Bedürfnisse mitteilen.

Beispiele alternativer Fragestellung und Formulierung in Kindesanhörungen im gutachterlichen und familienrechtlichen Kontext:

Download als pdf:

Individuelle Analyse und Auswertung der Anhörung /Befragung Ihres Kindes

Wenn Sie eine Stellungnahme zu den Aussagen Ihre Kindes abgeben wollen, helfe ich Ihnen gern bei der Analyse und beim Aufzeigen der Unstimmigkeiten in der Fragestellung und in den kindlichen Antworten.

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Lesetipp für Eltern und Fachkräfte:

Virginia Satir, “Selbstwert und Kommunikation”, Klett-Cotta Verlag, neueste Auflage: 2021

Hallo mein Name ist Anna Pelz

Ich biete fachliche Hilfestellung bei induzierter Eltern-Kind-Entfremdung für betroffene Eltern, Familienmitglieder und Fachkräfte im Bereich der Familienberatung und des Familienrechts. Deutschlandweit (auch telefonisch und online).