Wie entscheiden Kinder?

Kinder entscheiden sich stets zugunsten der emotional vereinnahmenden Elternperson

Grundsätzlich gilt:

Kinder entscheiden sich nahezu ausnahmslos für den emotional vereinnahmenden Elternteil, weil sie andernfalls eine vollständige Ablehnung durch diese Person befürchten. Der tolerantere, nicht nachtragende und mehr aufgeschlossene Elternteil dagegen wird von den Kindern als derjenige betrachtet, der Ablehnung, Verachtung, Hass und Wut ertragen kann. Unlogisch? Im Gegenteil. Im Zweifelsfall stehe ich Ihnen, liebe Fachkräfte, für eine Analyse respektive Konsultation gern zur Verfügung.

Als Fachkraft laufen Sie möglicherweise Gefahr, all das zum Zeitpunkt der Befragung nicht zwingend zu erkennen – aufgrund der Merkmale des “Willens”, die scheinbar alle Kriterien erfüllen – und begehen damit den Fehler, die Aussagen des Kindes nicht als Schutzstrategie, sondern als den “Kindeswillen” zu deuten, der schließlich nicht gebrochen werden dürfe (doch glauben Sie mir, es gibt durchaus andere Wege, einen manipulierten Willen in einen autonomen zu verwandeln) und ihn im Endeffekt als Entscheidungsgrundlage oder Empfehlung zu verwenden.

Kindesanhörung Teil 2. – Wie entscheiden Kinder?

Ausblick: Wie kann eine Anhörung alternativ und konstruktiv durchgeführt werden?

Die Kinderschutzorganisationen und Fachautoren betonen in ihren Empfehlungen einige Punkte, die ich, ergänzt und erweitert mit meinen eigenen beruflichen Erkenntnissen, an dieser Stelle insbesondere den Fachkräften unter Ihnen ans Herz legen möchte, und gleichzeitig auch natürlich den Eltern, damit sie die Qualität der Befragung Ihres Kindes grob einschätzen können.

1. Ablauf verändern

Vorab sollten die Eltern des Kindes einzeln befragt werden. Sie können den Eltern Fragen zu dem Kind (nach der Freizeitgestaltung, Interessen, Hobbys, Freunden, Konfliktbewältigung, Verarbeitungsmechanismen, Resilienz, etc.) stellen und dabei gleichzeitig auf die Art der Erzählung achten (Mimik, Gestik, Tonfall, Sitzhaltung).
Erst danach – idealerweise mit einigen Tagen Abstand,  sollte das Kind befragt werden.
Idealerweise sollte die Befragung des Kindes

2. Form und Inhalt der Fragen optimieren

Offene Fragen stellen oder Gesprächsanregungen geben, um dem Kind die Möglichkeit zu geben, frei zu antworten, anstatt mit geschlossenen Fragen seine Antwortmöglichkeiten einzuschränken oder ihm gar vorgefertigte Antworten zu suggerieren.

Beispiele für Don’ts und Do’s:

❌️ Magst du mir vielleicht etwas von dir erzählen?
✅️ Erzähl mir doch bitte etwas von dir!

❌️ Warst du dann wütend? / Dann warst du bestimmt sehr traurig!
✅️ Wie ging es dir denn damit?

❌️ Was machst du gern bei Papa und was bei Mama?
✅️ Was machst du gern in deiner Freizeit?

❌️ Wieviele Tage möchtest du bei Papa und wieviel bei Mama sein?
✅️ Erzähl mir bitte, wie deine Woche aussieht. Wie ist es für dich?

❌️ Das hört sich schlimm an! / Das war bestimmt schlimm!
✅️ Mhmm… Wie ging es weiter?

❌️ Welche Freunde hast du bei Mama und welche bei Papa?
✅️ Wie heißen deine (besten) Freunde? Was unternimmst du mit ihnen?

❌️ Was spielst du gern bei Papa und was bei Mama?
✅️ Was spielst du gern? Wer ist alles dabei?

❌️ Wer kann dich besser trösten?
✅️ Wenn du traurig bist, was brauchst du dann?

❌️ Was kann Papa/Mama tun, damit du ihn/sie wieder sehen willst?
✅️ Als du dich das letzte mal sauer auf deinen besten Freund warst – wie habt ihr es geschafft, euch wieder zu vertragen?

❌️ Darf Papa/Mama dich anrufen/unter Aufsicht besuchen?
✅️ Wenn du einen Freund/Freundin vermisst, was machst du dann? Wie geht es ihm/ihr damit?

Vorteile der alternativen Fragestellung

Vorteile der alternativen Fragestellung bei der Kindesanhörung:

Sie können den authentischen Kindeswillen ermitteln, ohne eine Frage direkt danach zu stellen. Bei direkt gestellten Fragen ist anzunehmen, dass sich das Kind für die emotional vereinnahmende Elternperson positioniert, sein “Wille” den Erwartungen dieser Person entspricht und dabei bemerkenswert stabil und zielorientiert scheint.
Sie erkunden die Selbstwirksamkeit des Kindes in der Regulierung und Bewältigung anderer Konflikte verwendet hat
Bei der von mir vorgeschlagenen Art der Fragestellung ermitteln Sie, was dem Kind gut tut, was es gern macht – ohne, dass es dafür eine Elternperson benennen muss.

Aufmerksam zuhören

Indem sie den frei formulierten Angaben des Kindes aufmerksam zuhören, seine Körpersprache und den Tonfall dabei beobachten und die Erhebungen mit den Angaben der Eltern vergleichen (denen Sie zuvor dieselben Fragen stellen), werden Sie einen umfangreichen Eindruck davon erhalten, welcher Elternteil welchen Beitrag zu der Entwicklung des Kindes und seiner emotionalen Verfassung beiträgt. Auch können Sie erste Hinweise auf die Herkunft der wahrnehmbaren Reaktionsmuster, des geschilderten Konfliktverhaltens und der sichtbaren Verarbeitungsmechanismen des Kindes ableiten und sich so ein Bild von dem Kindeswohl zu machen.

Spaltende Fragen

Spaltende Fragen danach, bei welchem Elternteil das Kind was macht und wie es ihm gefällt, entfallen, das Kind wird entlastet und gerät nicht (noch mehr) in den Loyalitätskonflikt. Es darf nur über sich sprechen und muss den Eltern nicht den “Daumen hoch” oder “Daumen runter” geben. Die Chance, dass das Kind über seine wahren Bedürfnisse und Wünsche spricht, ist somit höher.

Fragestellung konsequent beizubehalten

Kinder, die vor der Anhörung von einem Elternteil (oder von beiden!) “bearbeitet” wurden, werden ebenfalls entlastet – sie wirken dennoch anfangs irritiert, weil sie ihr Programm nicht “abspielen” können. Hier ist es entscheidend, die Form der Fragestellung konsequent beizubehalten. Wenn ein Kind also ungeachtet der neutralen Fragestellung äußert: “Also, bei Mama, da habe ich sehr viele Freunde aber bei Papa keine” oder: ”Bei Papa darf ich mit Freunden spielen, aber bei Mama da verbietet sie es mir immer” können Sie mit ruhigen Stimme einwerfen, dass Papa oder Mama für Sie weniger interessant seien. Wichtig seien nur die Freunde selbst, egal bei wem. Ein entsprechend “bearbeitetes” Kind wird es anfangs immer wieder probieren, Sie für einen der Elternteile emotional zu gewinnen und Sie von diesem Elternteil zu überzeugen. Bleiben Sie konsequent bei Ihrem neutralen roten Faden – nur die Info sei wichtig, nicht der Elternteil – nach und nach kann eine deutliche Entspannung des Kindes eintreten.

3. Alters- und individuell entwicklungsgerechte Formulierungen verwenden.

Fragen auf eine altersgerechte und verständliche Weise stellen. Beachten Sie dabei jedoch die individuelle Entwicklung des Kindes. Führen Sie zu Anfang einen kurzen Small-Talk (Schön, dich kennenzulernen, wie geht es dir heute, wer hat dich hergebracht, wie lange musstet ihr fahren etc.), um sich das erste Bild vom kognitiven und sprachlichen Stand des Kindes zu machen. Seien Sie versichert, Sie werden die eine oder andere Überraschung erleben!

4. Einfühlungsvermögen bei der Fragestellung/Gesprächsführung zeigen.

Sensibel, einfühlsam und gleichzeitig neutral auftreten, um dem Kind ein Gefühl der Sicherheit, des Vertrauens und der Unparteilichkeit zu vermitteln. Was diese Kombination bedeutet, dürfte an dieser Stelle klar sein.

5. Erhebung differenziert betrachten, Mechanismen aufschlüsseln

Bedürfnisse und die Sichtweise des Kindes verstehen, dabei stets zwischen den Bedürfnissen und der Sichtweise des Kindes unterscheiden – die (beeinflusste) Sichtweise des Kindes kann eine Strategie hervorbringen, die den verborgenen Bedürfnissen nicht zwingend entsprechen muss und sogar selbstschädigend sein kann. Siehe dazu meine weiteren Beiträge hier zum Thema Kindeswille und Kindeswohl.

Der vorstehende Text ist, wie sie sich denken können, nur ein grober Umriss. Bei individuellen Fragen, für Konsultationen und Anregungen stehe ich Ihnen, liebe Fachkräfte, gern zur Verfügung.

Und auch Sie, liebe Eltern, wenn Sie eine Frage loswerden wollen oder eine Expertise zur Kindesanhörung benötigen, können Sie mich jederzeit gern kontaktieren.

Zum Teil 1

Kindesanhörung – Zweck der Kindesanhörung/Kindesbefragung

Zweck der Kindesanhörung/Kindesbefragung – (gesetzliche) Vorgaben vs. Realität

Infobox:

Harry Dettenborn: “Kindeswohl und Kindeswille, Psychologische und rechtliche Aspekte”, 2021

Dettenborn/Walter: “Familienrechtspsychologie, 2015

Ballhof: “Kinder vor dem Familiengericht”, 2014

DKHW: Handreichung für Richter*innen, 2021, PDF:
PDF Download

BMFSFJ: Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren, 2023
PDF Download

Virginia Satir: “Selbstwert und Kommunikation”, 2002

Hallo mein Name ist Anna Pelz

Ich biete fachliche Hilfestellung bei induzierter Eltern-Kind-Entfremdung für betroffene Eltern, Familienmitglieder und Fachkräfte im Bereich der Familienberatung und des Familienrechts. Deutschlandweit (auch telefonisch und online).