Der Loyalitätskonflikt als Ausdruck der inneren Verpflichtung.
Den Loyalitätskonflikt von Kindern erlebe ich als eine Mischung aus induziertem schlechtem Gewissen und anerzogenem Verantwortungsgefühl einem Elternteil gegenüber – meist dem Elternteil, der sich als bedürftig, hilflos und als “Opfer der Umstände” darstellt und vom Kind deshalb auch so erlebt wird. Durch den Loyalitätskonflikt wird eine Solidarisierung erzwungen, die als “gutes Verhalten” gelobt und verstärkt wird. Du bist ein braver #Junge, du kümmerst dich gut um deine #Mutter. Du bist ein liebes #Mädchen, du machst deinen #Papa sehr glücklich.
Kinder, die mit der Überzeugung aufwachsen, für das Glück anderer verantwortlich zu sein, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die eigenen Kinder in einen Loyalitätskonflikt bringen.
Der Loyalitätskonflikt als transgenerationales Phänomen
Den #Loyalitätskonflikt erlebe ich in meiner beruflichen Praxis allerdings nahezu ausnahmslos als eine transgenerational weitergegebene #Belastung. Meist ist es also kein neues Phänomen, das beim #Kind als Folge der #Trennung der #Eltern zum ersten Mal entsteht, sondern es existiert bereits als Muster und als “Bewältigungsstrategie” innerhalb der #Familie eines Elternteils, wird durch die Trennung beim Elternteil lediglich aktiviert und dem Kind als eine Grundhaltung vermittelt. In Folge des übertragenen Loyalitätskonflikts entscheidet sich das Kind für diesen Elternteil und lehnt den anderen ab.
Wiederum der eigene Loyalitätskonflikt dieses Elternteils seinen eigenen Eltern gegenüber (den Großeltern des Kindes) war (häufig) der Trennungsgrund – weil diese den #Partner/#Partnerin des Elternteils nicht mochten bzw. gänzlich ablehnten. So “entschied” sich der Elternteil für seine Eltern (#Großeltern des Kindes), trennte sich vom Vater/Mutter des Kindes und lehnte ihn/sie ab. Damit entstand auch bei dieser längst erwachsenen Person der Eindruck des “richtigen Handelns”. Ich habe meine Eltern glücklich gemacht, also muss es eine richtige Entscheidung gewesen sein.
Die Großeltern des Kindes wiederum sind seit 35 Jahren verheiratet. Die Großmutter wollte eigentlich eine Ausbildung im Ausland machen und vielleicht dort leben. Sie haben nur wegen der Schwangerschaft geheiratet und das nur aus Loyalität der eigenen Eltern gegenüber, die selbst über ein Jahr verheiratet waren bis das erste Kind kam – denn nur so sei es richtig, so gehöre es sich nun mal, was sagen sonst die Leute, wie stehen wir dann als deine Eltern da.
Diese Urgroßeltern lebten ein Leben lang zusammen. In einer lieblosen Pflichtehe, die nur aus dem Loyalitätskonflikt den eigenen Eltern gegenüber gehalten hat, weil diese ihnen vermittelt haben, dass man ab einem gewissen Alter eben verheiratet sein und bleiben müsse. Der Urgroßvater hatte so einen eigenartigen Freund, mit dem verbeschte er viel zu viel Zeit. Man munkelte, dass dieser sogar bei ihm übernachtete. Es war an der Zeit, dass er sich eine Frau nimmt und vernünftig wird. Auf der Arbeit waren schon alle verheiratet.
Der Ausstieg aus dem Loyalitätskonflikt
Die Kette könnte ich endlos fortsetzen und immer weiter in die Vergangenheit schauen, um zu ergründen, wann, wie und wo und in welcher Konstellation der Loyalitätskonflikts weitergegeben wurde und wann er begonnen hat.
Doch die Erkenntnis und das Wissen, wo der Kern lag, muss nicht zwingend helfen, das Problem im Hier und Jetzt aufzulösen.
Im Hier und Jetzt hilft zum einen die Erkenntnis, dass es sich unter Umständen um ein weitergegebenes Muster handelt, gefolgt von der emotionalen Abgrenzung von dem toxischen Verhalten und von der Entscheidung für sich selbst. Eine Entscheidung, die sehr schwer fallen und sich unsicher anfühlen kann, wenn man bisher die Erwartungen anderer erfüllte und nie gelernt hat, die eigenen Bedürfnisse zu beachten.
Nur das Brechen mit den Altlasten kann helfen, den Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden. Diese können schmerzhaft sein – und befreiend zugleich. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings nicht zwingend, dass man sich gegen seine gesamte Familie auflehnen muss und sie ablehnen, um frei zu leben. Denn genau das wäre die Musterwiederholung. Dieses Entweder-Oder.
Im Gegenteil: das Brechen mit den alten Mustern und der Zugang zu der Vielfalt eigenen #Gefühle erlauben auch eine differenzierte Herangehensweise an die Gefühle der Eltern. So kann ein Verständnis für deren Verhalten entstehen, das jedoch keine bedingungslose Akzeptanz und Solidarisierung bedeutet. Und genau daraus ergibt sich die emotionale Ablösung von dem Muster des eigenen Loyalitätskonflikts.
Wie die Beziehung zu den eigenen Eltern dann gestaltet werden kann, ist allerdings ein Thema für einen weiteren Beitrag.