Muss ich mich bei meinem Kind für die Trennung entschuldigen, um wieder Kontakt zu bekommen?
Viele Eltern, die ich coache und die unter dem Kontaktabbruch zu ihren Kindern nach der Trennung leiden, wenden sich an mich, weil sie vor einer scheinbar simplen, aber emotional tiefgreifenden Forderung des Kindes stehen, die sich für diese Elternteile aber gleichzeitig einfach “irgendwie nicht richtig” anfühlt: „Entschuldige dich bei mir für die Trennung (optional: “für das, was du uns angetan hast,”) , dann überlege ich es mir, ob ich wieder Kontakt zu dir haben möchte.“
“Wenn du dich entschuldigst, werde ich mir überlegen, ob ich dich wieder sehen will.”
Eine solche Situation stellt für betroffene Eltern eine enorme Belastung dar. Schließlich wünschen sie sich nichts sehnlicher, so die Aussagen ausnahmslos aller Elternteile, die ich berate, als wieder Kontakt und eine gute Beziehung zu ihrem Kind! Und gleichzeitig fühlt sich diese Forderung für die meisten Elternteile, mit denen ich spreche, “wie ein Echo der vergangenen Beziehung zum anderen Elternteil” an – so die häufigste Empfindung. Es ist ein Gefühl, das Ungutes ahnen lässt. Und das meist zurecht.
“Meine Ex-Frau bestrafte mich nach jeder Meinungsverschiedenheit mit tagelangem Schweigen, bis ich irgendwann zusammenbrach und mich voller Demut entschuldigt habe, meist für Dinge, die nur in ihrer Phantasie existierten, wie z.B. vermeintliche Affären auf der Arbeit oder weil ich die Spülmaschine ihrer Meinung nach falsch eingeräumt habe. Nach Tagen oder Wochen hat sie mir dann verziehen, doch es fühlte sich trotzdem nicht gut an. Ich wusste nie, wann und weshalb ich wieder in Ungnade fallen werde”.
“Mein Mann behandelte mich wie Luft, jedes Mal, wenn ich etwas eigenständig entschieden und umgesetzt habe, wie z.B. mit einer Freundin ins Kino zu gehen. Ich musste mich mehrere Tage lang entschuldigen, um Verzeihung regelrecht betteln, bis er mir irgendwann gnädigerweise verzeihen konnte. Doch das änderte langfristig nichts; ich hatte nach wie vor das Gefühl, jedes Wort, jede Geste oder Handlung auf die Goldwaage legen zu müssen”.
Geschichten wie diese höre ich regelmäßig. Und da taucht automatisch die Frage auf: Ist eine Entschuldigung wirklich der richtige Weg, wenn sie zu keiner nachhaltigen Auflösung der Konfliktproblematik führt, sondern diese eher aufrechterhält?
Sollte man als getrennter Elternteil also dem Wunsch des Kindes nachkommen, wenn es diese Strukturen als “Konfliktbewältigung” während der Beziehung ihrer Eltern erlebt hat?
Meine Antwort lautet:
Nein, das muss und sollte man nicht tun, weil die Konfliktdynamik dadurch aufrechterhalten wird. In den meisten Fällen steckt hinter dieser Forderung nämlich nicht das Kind selbst, sondern eben der Einfluss des anderen Elternteils, ob gezielt oder durch Vorleben. Eine solche Entschuldigung dem Kind gegenüber führt nicht zu echter Versöhnung, sondern zementiert vielmehr die Schuldzuweisung.
Stattdessen ist es wichtiger, Mitgefühl für die Gefühle des Kindes zu zeigen – aber ohne sich für eine Entscheidung zu rechtfertigen, die man vermutlich aus guten Gründen getroffen hat. Dazu gleich mehr.

Die Lösung in Form einer Entschuldigung für die Trennung kann schnell zum Teil des Problems werden.
Woher kommt die Forderung nach einer Entschuldigung?
Kinder, die den Kontakt zu einem Elternteil abbrechen, stehen oft unter massivem emotionalem Druck durch den anderen Elternteil. Insbesondere bei trennungsbedingter induzierter Entfremdung (Parental Alienation/Eltern-Kind-Entfremdung – ich bediene mich hier der gängigen Bezeichnungen dieses Phänomens, wohlwissend, dass sie als umstritten gelten) wird ihnen vermittelt, dass die Trennung allein die Schuld des abgelehnten Elternteils sei. Die dahinterstehende Botschaft lautet in etwa:
“Du hast unsere Familie zerstört, du hast mich und das Kind verlassen, du hast unser gemeinsames Leben ruiniert. Und jetzt sollst du so leiden, wie ich gelitten habe. Du sollst jetzt dafür büßen.”
In Wirklichkeit sind Trennungen jedoch komplexe Prozesse, die aus vielen Gründen geschehen – und kaum in alleiniger Verantwortung nur eines Elternteils stehen können. Werden Kinder jedoch lange genug dem einseitigen Täter-Opfer-Narrativ ausgesetzt, meist gepaart mit einer heldenhaft vorgespielten Opferhaltung des induzierenden Elternteils, übernehmen sie dieses Narrativ oft als ihre eigene Realität.
Wenn ein entfremdetes Kind eine Entschuldigung verlangt, tut es das meist nicht aus eigenem Antrieb, sondern spiegelt unbewusst die Haltung des entfremdenden Elternteils wider. Es ist ein Versuch, den abgelehnten Elternteil in eine unterwürfige und schwache Position zu drängen und ihm die alleinige Schuld aufzubürden, um die gewünschte Machtposition des entfremdeten Elternteils wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten und gleichzeitig eine Art Genugtuung. Spannenderweise wird diese Forderung (so zumindest der Erfahrungswert aus meiner beruflichen Praxis) kaum direkt nach der Trennung geäußert, sondern meist einige Zeit später und in Verbindung mit einem positiven Ereignis im Leben des abgelehnten Elternteils – zu den Klassikern gehört hier das Eingehen einer neuen Partnerschaft, erneute Heirat oder wenn sich in der neuen Partnerschaft Nachwuchs ankündigt. (Lesetipp: Warshak R. “Remarriage as a trigger of parental alienation syndrome”, The American Journal of Family Therapy 2000).
Warum eine Entschuldigung nicht nachhaltig hilft
Viele Eltern, mit denen ich arbeite, erwägen in dieser Situation, sich tatsächlich zu entschuldigen – in der Hoffnung, dass ihr Kind dadurch erkennt, dass sie es lieben und den Kontakt zu ihnen wieder aufnimmt (oder diesen eher gönnerhaft gestattet). Doch das ist in den meisten Fällen ein Trugschluss.
1. Eine Entschuldigung festigt die gefühlte Realität des Kindes
Eine Trennung ist in der Regel keine moralische Verfehlung, sondern eine Lebensentscheidung – auch dann, wenn Sie die Mutter/den Vater Ihres gemeinsamen Kindes oder Kinder wegen einer neuen Partner oder Partnerin verlassen haben. Ja, auch eine solche auf den ersten Blick scheinbar klare “Untreue”, “Ehebruch” oder gar “Sünde” (alles Begriffe, die tatsächlich regelmäßig von Kindern verwendet werden) kann sehr komplexe und differenziert zu betrachtende Hintergründe haben!
Sie können Ihr Kind lieben und trotzdem gleichzeitig erkennen, dass die Beziehung zum anderen Elternteil nicht mehr funktioniert und der Familie nicht gut tut, weshalb Sie sich zu einer Trennung entschließen. Sich für diese Entscheidung zu rechtfertigen, zu entschuldigen, Reue zu zeigen, wäre, als würden Sie sagen: „Es war falsch, mein Leben selbstbestimmt zu gestalten.“ Ein solches Geständnis wäre eine falsche Botschaft an das Kind. Mit einer Entschuldigung zeigen Sie sich Ihrem Kind gegenüber demütig und unterwürfig, um sich seine Liebe damit zu “verdienen” – vermutlich exakt so, oder ähnlich, wie Sie es früher in der Partnerschaft getan haben, in der Hoffnung auf die Gunst Ihres Partners oder Partnerin, auf Versöhnung und Harmonie. Dass es schon damals nicht funktioniert hat, haben Sie vermutlich mehrfach erlebt. Auf diese gescheiterte Strategie an dieser Stelle erneut zurückzugreifen, in der Hoffnung, dass sie andere Ergebnisse bringt, dürfte demzufolge sinnlos, wenn nicht kontraproduktiv, sein.
2. Die Entschuldigung wird keine Vergebung bringen
Wer glaubt, dass eine Entschuldigung und Reue das Kind besänftigen und den Kontakt erleichtert, wird meist enttäuscht. In der Realität führt sie oft zu weiteren Forderungen: „Jetzt siehst du endlich ein, was du uns angetan hast und dass du schuld bist. Jetzt sollst du auch noch dies und jenes tun, um es wiedergutzumachen. Und dann noch einiges mehr. Dann werde ich dich vielleicht wieder sehen wollen. Oder auch nicht, das muss ich mir noch überlegen.“ Statt einer Versöhnung entsteht hier eine Dynamik der Erniedrigung, in der Sie als Elternteil immer weiter in die Defensive gedrängt werden. Lenken Sie ein, “lernt” Ihr Kind dadurch fatalerweise zweierlei: 1. Liebe gewährt man erst als Gegenleistung für Folgsamkeit und Selbstaufgabe und 2. Mit der Rationierung der Liebe können Menschen manipuliert und klein gehalten werden.
Beide Botschaften stellen dysfunktionale Muster in zwischenmenschlichen Beziehungen dar, die vom Kind unter keinen Umständen als Erfolg erlebt werden sollten.
3. Die Schuldzuweisung wird zementiert
Indem Sie sich entschuldigen, bestätigen Sie unbewusst die manipulative Botschaft des anderen Elternteils und vermitteln: „Ja, ich habe alles falsch gemacht. Ja, ich bin allein schuld an deinem Leid. Ja, ich bin deshalb nicht liebenswert“. Das Kind erhält damit keine Gelegenheit, eine differenzierte Sicht auf die Trennung zu entwickeln, sondern bleibt in der Schwarz-Weiß-Denke des anderen Elternteils gefangen. Zusätzlich wird das Machtverhältnis bestätigt und von dem Kind als Erfolg erlebt, was von ihm wiederum fälschlicherweise als “Selbtwirksamkeit” empfunden werden kann. Eine fatale Verwechslung, die auch in unserem Familienrechtssystem bedauerlicherweise regelmäßig vorkommt. Dysfunktionale Konfliktverarbeitung dieser Art wird von vielen Familiengerichten hierzulande häufig mit dem autonomen Kindeswillen und der kindlichen Selbstwirksamkeit verwechselt – zu diesem Thema finden Sie übrigens diverse Artikel in diesem Blog.
Was kann ein betroffener Elternteil stattdessen tun?
Während eine Entschuldigung für die Trennung nicht zielführend ist, gibt es für Sie dennoch die Möglichkeit, auf die Gefühle des Kindes einzugehen, ohne sich selbst die Schuld zuzuschreiben.
1. Empathie zeigen
Dass die Trennung für das Kind schmerzhaft war, steht außer Frage. Eine mögliche souveräne Antwort auf die Forderung nach einer Entschuldigung könnte demzufolge lauten:
“Ich verstehe, dass die Trennung für dich schwer war. Das war für uns alle eine harte Zeit. Es tut mir leid, dass du dadurch Leid empfunden hast. Ich hätte mir gewünscht, dass es für dich leichter gewesen wäre.”
Hier drücken Sie Empathie aus, ohne Schuld auf sich zu nehmen. Sie verdeutlichen Ihrem Kind, dass Sie seine Gefühle ernst nehmen, ohne jedoch die eigene Entscheidung als falsch darzustellen.
Dennoch werden Sie in diesem Moment vermutlich keine Lösung des Konflikts erreichen und bewirken, dass das Kind sofort und mit Freude weiteren Kontakten zustimmt. Denn dafür wurde von ihm das bisherige Machtgefüge zu lange als funktional und erfolgreich erlebt.
2. Die Manipulation erkennen und standhaft bleiben
Wenn das Kind also weiterhin darauf besteht, eine Entschuldigung zu hören, können Sie ruhig und bestimmt entgegnen:
“Ich kann mich nicht für eine Entscheidung entschuldigen, die ich damals nach bestem Wissen und Gewissen getroffen habe. Mir tut es aber leid, dass es dich belastet hat und ich bin jederzeit für ein offenes Gespräch bereit, wenn du darüber sprechen möchtest, wie du dich gefühlt hast.”
Damit bleiben Sie klar in Ihrer Haltung, ohne den anderen Elternteil schlecht zu machen, ohne die Gefühle des Kindes in Frage zu stellen oder den Kontakt abzubrechen.
3. Kongruent bleiben und Grenzen setzen
Der Prozess der Entfremdung kann lange anhalten, und viele Kinder brauchen lange, häufig sogar Jahre, um sich aus der einseitigen Sichtweise des anderen Elternteils zu lösen. Indem Sie standhaft, liebevoll und kongruent bleiben und gleichzeitig immer wieder signalisieren, dass Sie offen für Kontakt und gesprächsbereit sind, geben Sie dem Kind die Möglichkeit, die eigene Haltung bzw. eher: die Perspektive und die Wahrnehmung des anderen Elternteils, zu reflektieren und zu hinterfragen.
Kein Elternteil muss sich für eine Trennung entschuldigen
Die Forderung des Kindes nach einer Entschuldigung für die Trennung ist meist ein Symptom von Beeinflussung durch den anderen Elternteil. Wer sich darauf einlässt, bestätigt nur eine manipulative Schuldzuweisung und bedient de facto auch nach der Trennung weiterhin die Konfliktmuster der anderen Elternperson.
Stattdessen sollte Empathie für die Gefühle des Kindes gezeigt werden, ohne jedoch sich für Ihre Lebensentscheidungen zu entschuldigen oder zu rechtfertigen, egal unter welchen Umständen sie erfolgt sind. Sie können aber eine gemeinsame Ebene herstellen, indem Sie die Belastung für alle ansprechen, Verständnis und Mitgefühl für alle Beteiligten zeigen.
Doch es gilt: Wenn Sie eine Trennung beschließen, trennen Sie sich nur vom anderen Elternteil, nicht jedoch von Ihrem Kind oder Kindern. Eltern bleiben Eltern – auch nach einer Trennung, so zumindest sollte es sein.
Die Liebe zu einem Kind zeigen Sie nicht durch Schuldbekenntnisse, sondern durch Souveränität, Kongruenz, Aufrichtigkeit und emotionale Präsenz.
Ein mit Unterwürfigkeit, Reue und Selbstaufgabe erkämpfter Kontakt zum Kind führt vielleicht kurzfristig zu einer gönnerhaften Zustimmung für einige Treffen oder Unternehmungen, mittel- bis langfristig jedoch wird es zu einem emotionalen Jojo-Effekt führen d.h. die Problematik wird nur verstärkt und schnell zum Teil des Problems werden, nicht zum Teil einer nachhaltigen Lösung.