Was umgangsberechtigte Eltern in hochstrittigen Verfahren wissen sollten.
Wenn ein Elternteil nach Trennung oder Scheidung vom Kind entfremdet wird und der Umgang durch den betreuenden Elternteil blockiert oder abgelehnt wird, landen viele Familien im familiengerichtlichen Verfahren. In besonders konfliktbelasteten Fällen können sich diese über Monate oder gar Jahre ziehen, bis dann ein familienpsychologisches Gutachten eingeholt – häufig mit dem Ziel, Klarheit über den sogenannten Kindeswillen oder die Bindungsqualität zum umgangsberechtigten Elternteil zu gewinnen.
Was an sich eine gute Intervention darstellen kann, geht allerdings häufig daneben: über 50% der Gutachten in familiensachen soll mangelhaft sein (siehe dazu: “Ger7chtl7che Gutachten in Familiensachen. Bedeutet: Die meisten Gutachten erfüllen nicht die fachlichen und rechtlichen Anforderungen, die notwendig wären, um dem Kindeswohl wirklich gerecht zu werden. Doch gerade wenn der Umgang mit dem Kind systematisch und nachweislich verweigert oder manipulativ beeinflusst wurde, ist eine fundierte und unabhängige Begutachtung entscheidend, was auch nach meiner Erfahrung viel zu oft schief geht.
Die folgenden 9 F-Faktoren helfen Ihnen als betroffenen Elternteil dabei, die Qualität eines Gutachtens einzuordnen und frühzeitig auf mögliche Mängel hinzuweisen, auch ohne fachlichen Hintergrund.
Die 9 F-Faktoren zur Überprüfung von familienpsychologischen Gutachten.
1. Fragestellung
Die gerichtliche Fragestellung ist der Ausgangspunkt jeder Begutachtung – sie bestimmt, worauf das Gutachten überhaupt antwortet und welche Hypothesen währen der Begutachtung überprüft werden.
Oft wird pauschal nach dem „Kindeswillen“ gefragt. Doch wenn der Wille des Kindes durch Beeinflussung, Loyalitätskonflikte oder Elternkonflikte verzerrt ist, braucht es mehr als eine einfache Willensabfrage. Vage oder allgemein gehaltene Fragen führen oft zu unbrauchbaren Ergebnissen.
Die Fragestellung muss deshalb konkret und entscheidungsrelevant sein. Statt also nur zu fragen, wie der Wille des Kindes sei, kann stattdessen – nach der Analyse der Akteninhalte und Verdacht auf einen Loyaltitätskonflikt – folgendes gefragt werden:
„Liegt eine Beeinflussung des Kindes gegen den umgangsberechtigten Elternteil vor? Wie wird sie geäußert?“
„In wieweit ist die Ablehnung durch das Kind Ausdruck eines freien Willens oder Folge von elterlicher Manipulation?“
2. Fristsetzung
Ohne eine konkrete Fristsetzung kann ein Gutachten Monate oder sogar Jahre dauern. dürfen sich nicht endlos hinziehen – das führt zu einem faktischen Kontaktabbruch.
Das Gericht kann und sollte dem Sachverständigen eine klare Frist zur Vorlage des Gutachtens setzen (§ 411 Abs. 1 ZPO). Empfehlenswert sind maximal drei Monate, denn je länger sich das Verfahren zieht, desto schwieriger wird eine Wiederannäherung zum Kind – und desto mehr verfestigt sich ein ablehnendes Verhalten. Da ein Gutachten aus nur wenigen Terminen besteht (in der Regel drei Termine pro Elternteil, einer davon telefonisch, ein Terminnpro Kindm und ggf. jeweils ein Telefongespräch mit dem Jugendamt, Verfahrensbeistand, ggf. Schule/Kita), ist der zeitliche Einsatz überschaubaren und das Pensum innerhalb dieser Zeit zu bewältigen.
3. Fachlichkeit
Nicht jeder Familienpsychologe ist automatisch für familienpsychologische Gutachten qualifiziert. Gerade bei Themen wie Kindeswohl, Loyalitätskonflikten oder psychologischer Einflussnahme braucht es idealerweise auch rechtspsychologische Fachkenntnisse.
Achten Sie auf Zertifizierungen (z. B. Fachpsychologe für Rechtspsychologie BDP/DGPs) und fordern Sie bei Zweifeln die Offenlegung der Qualifikationen.
4. Freiwilligkeit
Die Mitwirkung am Gutachten ist freiwillig. Sie sind nicht verpflichtet, an einer Begutachtung mitzuwirken und Ihre Ablehnung darf vom Gericht nicht per se negativ gewertet werden.
Sie sollten vorab und schriftlich über Ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden – gerade auch im Hinblick auf mögliche Folgen einer Verweigerung.
Eine fundierte Entscheidung setzt gute Information voraus.
5. Fairness
Gutachten müssen neutral und ausgewogen sein. Alle zu begutachtenden Personen sind gleich zu behandeln. Eine typische Ungleichbehandlung besteht z.B darin, dass während der eine Elternteil persönlich und ausführlich, mit dem anderen aufgrund der Entfernung oder aus anderen Gründen nur telefonisch oder kurzer gesprochen wird. Ei weiterer Klassiker: eine Elternperson wird zu Hause besucht (meist mündet dies Inn ausschweifenden Lobeshymnen für die Sauberkeit, schöne Einrichtung und “liebevolle Gestaltung” des Kinderzimmers), während die andere Person in der Praxis oder Büro des Gutachters vorsprechen soll.
Gerade in hochstrittigen Verfahren mit entfremdeten Elternteilen muss das Gutachten alle Seiten gleichwertig einbeziehen, objektiv begutachten und neutral bleiben – insbesondere dann, wenn das Kind eine ablehnende Haltung einem Elternteil gegenüber zeigt.
Ein weiteres Signal besteht in der Art der gutachterlichen Beschreibung bzw. Darstellung der erhobenen Informationen: auffällig viele Adjektive, Superlativen und emotionale, bewertende Darstellungen können auf eine Parteilichkeit hindeuten.
6. Feldkompetenz
Fachk6bdigr Gutachter berücksichtigen auch das weitere familiäre und soziale Umfeld und den Alltag des Kindes – auch bei “Umgangskontakten”. Feldkompetenz heißt also: Der Sachverständige schaut nicht nur ins Testprotokoll, sondern versteht den familiären und psychosozialen Kontext. Bindungen, Bezugspersonen und die damit verbundenen Erfahrungen des Kindes sind essentiell!
7. Fundierung
Ein seriöses Gutachten ist nachvollziehbar aufgebaut und methodisch abgesichert.Gespräche, Tests, Akten – jeder Schritt muss nachvollziehbar und begründet sein. Eine auf die untersuchte Problematik abgestimmte Literaturliste gehört ebenfalls dazu.
8. Fehlerfreiheit
Gerade wenn der Kontakt zum Kind bereits erschwert oder blockiert ist, kommt es auf jedes Detail an. Fehler im Gutachten – z. B. Selektives Weglassen von Informationen, widersprüchliche Aussagen, suggestive Formulierungen, Verallgemeinerungen, falsche Schlussfolgerungen– können gravierende Auswirkungen haben.
Beispiel: Wenn aus einem „unsicheren Verhalten“ des Kindes beim Umgang plötzlich eine „Bindungsstörung“ gemacht – ohne eine nachgewiesene Grundlage.
Deshalb: Lesen Sie das Gutachten genau und haben Sie den Mut, Widerspruch einzulegen!
9. Folgenabschätzung
Empfehlungen müssen langfristige Auswirkungen auf das Kind berücksichtigen. Wenn das Gutachten empfiehlt, den Umgang auszusetzen oder keinen Kontakt herzustellen, muss es auch benennen: Was bedeutet das für das Kind – kurz-, mittel- und langfristig? Allgemeine und unbegründete Vermutungen, dass das Kind damit “zur Ruhe kommt” oder “den Papa/die Maman vermisst und den Wunsch nach Kontakt selbst äußert” sind als unseriös zu bewerten.
Wird der mögliche Schaden durch Kontaktabbruch, Entfremdung oder Identitätskonflikte abgewogen? Wurde entsprechende Literatur hinzugezogen? Oder wird die Empfehlung allein mit der aktuellen Haltung des Kindes begründet? Welche positiven Erfahrungswerte hat der Gutachter mit dieser Empfehlung gemacht?
Ein verantwortungsbewusstes Gutachten wägt hier sorgfältig ab.
Wichtig für entfremdete Eltern:
Sie sind nicht dem Gutachter ausgeliefert!
Wenn Ihnen als Elternteil der Kontakt zum Kind verweigert wird, ist ein familienpsychologisches Gutachten oft der einzige Weg, um Licht in die Situation zu bringen. Und das gelingt nur, wenn das Gutachten fachlich fundiert, methodisch sauber und unabhängig erstellt wird. Wird das Gutachten gerichtlich beschlossen, können als betroffener Elternteil nicht verhindern, dass es erstellt wird.
Sie können allerdings darauf achten, wie es erstellt wird – und ob es dem Anspruch gerecht wird, dem nachhaltigen Kindeswohl langfristig zu dienen.
Die 9 F-Faktoren helfen Ihnen dabei, nicht sprachlos zu bleiben, sondern Fragen zu stellen, Mängel zu erkennen und ggf. rechtzeitig zu reagieren – etwa durch fachliche Stellungnahmen oder eine qualifizierte Gegendarstellung.
Sollten Sie Unterstützung benötigen, melden Sie sich per Mail, WhatsApp oder telefonisch – in einem kurzen unverbindlichen Austausch finden wir heraus, welche Art von Hilfestellung für Sie am meisten zielführend ist.